Internationale Kindesentführung und die rechtlichen Möglichkeiten

Internationale Kindesentführung und die rechtlichen Möglichkeiten

Frankfurter Rundschau vom 14. Dezember 2017

Im Zusammenhang mit ehelichen Trennungssituationen kommt es nicht selten zu internationalen Kindesentführungen, welche für einen Elternteil in der Regel mit einer zunächst vollständigen Entziehung der gemeinsamen Kinder verbunden sind. Man spricht von einer internationalen Kindesentführung, wenn unter Verstoß gegen das elterliche Sorgerecht, Kinder von einem Elternteil rechtswidrig in das Ausland verbracht werden, der zurückgebliebene Elternteil den Kontakt zu den Kindern verliert und diese damit ohne eine gemeinsame elterliche Entscheidung aus ihrem bisherigen Lebensumfeld herausgerissen werden. Die Möglichkeiten der Rückführung sind Gegenstand des Haager Übereinkommens vom 25.10.1980 über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführungen (HKÜ).

Die Fälle internationaler Kindesentführungen beschäftigen bereits seit den 80er Jahren die internationalen Gerichte. Durch das HKÜ wurden rechtliche Normen geschaffen, welche es dem zurückgebliebenen Elternteil unter bestimmten rechtlichen Voraussetzungen ermöglichen, eine Rückführung der entführten Abkömmlinge zu veranlassen. Mittlerweile wurde das Abkommen durch 80 Staaten ratifiziert, für Staaten der Europäischen Union wurde das Abkommen durch die Verordnung (EG) Nr. 2201/2003, ergänzt. Für den zurückgebliebenen Elternteil werden durch zentrale Behörden, welche in jedem Staat für einen Antrag auf Rückführung des Kindes zuständig sind, einheitliche Strukturen geschaffen, welche eine internationale Zusammenarbeit bei der Rückführung des entführten Kindes gewährleisten.

Lebt beispielsweise ein Minderjähriger in Deutschland und wird die elterliche Sorge durch beide Elternteile gemeinsam ausgeübt, so kann der bisherige Aufenthalt des Kindes nur dann ins Ausland verlegt werden, wenn dies auf einer gemeinschaftlichen Entscheidung der beiden Elternteile beruht oder die Verlegung des gewöhnlichen Aufenthaltsortes durch eine vorherige gerichtliche Entscheidung geregelt wurde. Übt ein Elternteil die elterliche Sorge alleine aus, so kann nur dieser über eine Verlegung des Lebensmittelpunkts des Kindes in das Ausland entscheiden. Immer dann, wenn unter Verletzung der vorgenannten Grundsätze ohne vorherige gemeinsame Abstimmung oder ohne vorherige gerichtliche Erlaubnis ein Minderjähriger ins Ausland verbracht wird, liegt eine Kindesentführung im Sinne von Art.3 HKÜ vor.

Der Rechtsweg zur Rückführung des Kindes ist international so geregelt, dass in dem Staat, in welchem das Kind zuletzt seinen gewöhnlichen Aufenthaltsort hatte, ein Antrag auf Rückführung des Kindes in den Ausgangsstaat zu stellen ist. Jedes Mitgliedsland des Übereinkommens hat für die Bearbeitung eines solchen Antrags eine zuständige zentrale Behörde bestimmt, in Deutschland ist das Bundesamt der Justiz für die Weiterleitung des Antrags zuständig. In England ist die International Child Abduction & Contact Unit (ICACU) für die Bearbeitung der Anträge zuständig, in Spanien das Ministerium der Justiz – Subdirección General de Cooperación Juridica Internacional. Die jeweils im früheren Aufenthaltsstaat des Kindes zuständige Behörde nimmt den Antrag auf Rückführung entgegen und leitet diesen an die jeweils zuständige zentrale Behörde des Staates weiter, in dem das Kind nach der Entführung seinen Aufenthalt hat. Die zentrale Behörde des neuen Aufenthaltsstaates reicht dann einen Antrag auf Rückführung des Kindes bei dem hierfür zuständigen Familiengericht ein. Für das Verfahren gilt das Beschleunigungsgebot des Art.11 HKÜ, wonach das Gericht innerhalb von 6 Wochen einen Termin zur mündlichen Verhandlung bestimmen soll. Im Rahmen der mündlichen Verhandlung ist es gem. Art.12 HKÜ zwingend vorgeschrieben, dass auch die Kinder seitens des Gerichts angehört werden.

Im Grundsatz gilt, dass das angerufene Gericht die Rückführung des Kindes in den Ausgangsstaat anordnen muss, wenn die Verbringung unter Verletzung des elterlichen Sorgerechts erfolgte und zum Zeitpunkt des Eingangs des Antrags bei Gericht eine Frist von weniger als einem Jahr seit dem Verbringen des Kindes vergangen ist. Bei der Entscheidung des Gerichts ist hervorzuheben, dass im Rahmen des Rückführungsverfahrens keine Kindeswohlprüfung erfolgt, d.h. die oft geführte Argumentation, der entführende Elternteil sei besser zur Erziehung der Kinder geeignet, ist unbeachtlich, es kommt alleine darauf an, dass die Verbringung unter Verletzung des Sorgerechts erfolgte. Eine etwaige bessere Eignung eines Elternteils ist dann nach Rückführung der Kinder in den Ausgangsstaat durch ein dort gegebenenfalls einzuleitendes sorgerechtliches Verfahren zu prüfen. Nur wenn der Antrag erst nach Ablauf der Jahresfrist, beginnend von dem Zeitpunkt der Verbringung des Kindes in das Ausland, gestellt wird, prüft das angerufene Gericht, ob sich das Kind in seine neue Umgebung bereits eingelebt hat.

Eine Ausnahme von dem Grundsatz der Rückführung gilt nur dann, wenn der antragstellende Elternteil zum Zeitpunkt der Entführung entweder das elterliche Sorgerecht tatsächlich nicht ausgeübt hat, oder der Verbringung in das Ausland zugestimmt hat oder diese nachträglich genehmigt hat.
Weitere Ausschlussgründe können darin begründet sein, dass mit der Rückführung eine schwerwiegende Gefahr für das körperliche oder seelische Wohl des Kindes verbunden ist, allerdings ist diese Ausnahme eng auszulegen. Voraussetzung ist, dass dargelegt wird, dass mit der Rückgabe des Kindes eine Beeinträchtigung besteht, welche über die üblichen Umgewöhnungsschwierigkeiten bei der Rückkehr in den Herkunftsstaat hinausgeht, tatsächlich handelt es sich hierbei um absolute Ausnahmetatbestände. Ein weiterer Ausschlussgrund ist eine Weigerung des Kindes, in den Ausgangsstaat zurückzugehen, wenn dieses ein Alter und eine Reife erreicht hat, angesichts deren es angebracht erscheint, seine Meinung zu berücksichtigen. Das Rückführungsabkommen wird für Minderjährige bis zu einem Höchstalter von 16 Jahren angewendet, der vorgenannte Ausnahmetatbestand ist insoweit dann zu prüfen, wenn ein Minderjähriger bereits ein fortgeschrittenes Alter in Richtung der Höchstaltersgrenze hat.

Ordnet das erstinstanzlich angerufene Familiengericht die Rückführung des Kindes in den Ursprungsstaat an, so kann diese Entscheidung innerhalb von 2 Wochen mit der sofortigen Beschwerde vor dem Oberlandesgericht angefochten werden, das Oberlandesgericht entscheidet dann zum einen über den Rückführungsgrund und zum anderen darüber, ob die sofortige Vollziehbarkeit der erstinstanzlichen Entscheidung angeordnet wird. Zu beachten ist auch, dass die Entziehung Minderjähriger im internationalen Bereich und auch in Deutschland strafbar ist, in Deutschland ergibt sich dies aus dem Straftatbestand des § 235 StGB.

In einzelnen Fällen muss auch beachtet werden, dass der entführende Elternteil gelegentlich versucht, eine Entscheidung über den Rückführungsantrag dadurch zu verhindern, dass eine Verbringung des Kindes in einen Drittstaat erfolgt. Im Zusammenhang mit Rückführungsanträgen ist insoweit stets zu prüfen, ob Eilmaßnahmen während des laufenden Rückführungsverfahrens geboten sind. So bietet sich beispielsweise gemäß § 15 IntFamRVG die Möglichkeit, die Hinterlegung von Ausweispapieren sowie die Auferlegung von Meldepflichten, bis hin zur Grenzsperre, während des laufenden Rückführungsverfahrens zu beantragen.

Im Ergebnis kann Elternteilen, die von einer Kindesentführung betroffen sind, nur geraten werden, schnellstmöglich einen Rückführungsantrag bei der hierfür zuständigen zentralen Stelle des Ausgangsstaates zu stellen. Man sollte sich stets dessen bewusst sein, dass der Aufenthaltswechsel für die Kinder eine große Belastung darstellt, sodass eine möglichst schnelle Entscheidung und Rückführung der Kinder in den Ausgangsstaat vorzuziehen ist. Dies wird bereits daran deutlich, dass die Kinder auch im Staat des vorübergehenden Aufenthalts sukzessive Kontakte aufbauen und dort sogar vorübergehend eine Schule besuchen müssen, was bei längerem Aufenthalt zu einer Gewöhnung und auch gewissen Integration führt.

Holger Weismantel, 14. Dezember 2017

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